22.10.2023

Sensibel Tabus aufbrechen

Interview mit Mastidia Richards, Initiatorin des WASH-Projekts zu Menstruationsgesundheit in Tansania

Mastidia Richards aus Biharamulo, Kagera Region in Tansania ist Mitarbeiterin unserer Partnerorganisation Human Life Defense Department (HLDD) der Diözese Rulenge-Ngara. Seit Anfang 2013 arbeitet sie im „WASH“-Projekt, das 2023 auf ihre Initiative hin mit dem Thema „Menstruationsgesundheit und Schulbildung für Mädchen“ einen neuen Fokus erhalten hat.

Mastidia Richards studierte Umweltwissenschaften und -management an der Sokoine Universität in Morogoro, Tansania und absolvierte im Anschluss verschiedene Aus- und Fortbildungen zum Thema Menstruationsgesundheit bzw. Monatshygiene im globalen Kontext. Seit 2013 ist sie Teil des HLDD-Teams und unterstützt Gemeinden dabei, die Bedeutung von Umweltschutz für nachhaltige Wasserstellen zu verstehen und gute Sanitär- und Hygienepraktiken einzuführen. Mit dem neuen Fokus des Projekts engagiert sie sich nun in einem Herzensprojekt: In Tansania führen die fehlende Verfügbarkeit von sauberem Wasser und hygienischen Menstruationsprodukten oft dazu, dass Mädchen während der Menstruation nicht zur Schule gehen und in weiterer Folge durch den versäumten Unterricht die Schule nicht abschließen. Mehr Informationen

Im folgenden Interview erzählt sie mehr über die Situation und ihre Arbeit in diesem gemeinsamen Projekt.

Mastidia Richards

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Projekt zum Thema Monatshygiene ins Leben zu rufen?

Anfangs konzentrierte sich das WASH-Projekt auf die Wasser- und Sanitärversorgung in den Dörfern. Menstruationshygiene spielte dabei keine Rolle. Während der Projektumsetzung wurde erst klar, wie wichtig diese Komponente eigentlich ist.

In Tansania wird das Thema Menstruation tabuisiert. Es wird meist mit Sexualität in Verbindung gebracht, sodass nur wenige Eltern offen mit ihren Kindern darüber sprechen. Das Thema ist auch nicht Teil des Lehrplans. Dazu kommt, dass Schulen meist nicht über angemessene Einrichtungen für Menstruationshygiene - also Waschräume - verfügen und es den Mädchen an Hygieneprodukten mangelt. Diese Situation hat mich überzeugt, mich für dieses Thema einzusetzen. Die Verbesserung von Menstruationsgesundheit fördert gleichzeitig Geschlechtergleichstellung, qualitativ hochwertige Bildung, sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie Wasser- und Sanitärversorgung.

Ich habe mich also auf die Suche nach anderen Projekten zur Menstruationshygiene gemacht – quasi als Modell. Dabei musste ich auch feststellen, dass es in den meisten Projekten hauptsächlich um die Bereitstellung von Einwegbinden - und nur für die Dauer des Projektes! - geht, Mädchen aber nicht lernen, wiederverwendbare Stoffbinden herzustellen. Die Herstellung von wiederverwendbaren Stoffbinden aus zum Beispiel alter Kleidung oder Decken ist heute eine Aktivität, die mir besonders am Herzen liegt, da es Mädchen aus armen Verhältnissen, die sich den Kauf von Einwegbinden nicht leisten können, eine große Hilfe ist. Sie sind dann in der Lage, ihre eigenen Binden zu geringeren Kosten herzustellen.

Was ist der Kern des Projekts und wodurch unterscheidet es sich von den Vorgänger-Projekten?

Das Projekt zielt darauf ab, menstruierenden Mädchen den Schutz ihrer Würde, Privatsphäre, körperlichen Unversehrtheit und Selbstwirksamkeit zu gewährleisten. Im Unterschied zu anderen „WASH“-Projekten, bei denen es hauptsächlich um die Bereitstellung von Wasser und sanitären Einrichtungen geht, stellt dieses Projekt zusätzlich Informationen, Einrichtungen und nachhaltige Menstruationsmaterialien bereit. Konkret bedeutet das, dass an den teilnehmenden Schulen Waschräume gebaut werden und sowohl Mädchen als auch Buben Wissen zum Thema erwerben. Das Projekt verfolgt drei spezifische Ziele: Erstens sollen die Mädchen in den Sekundarschulen mit Kenntnissen über richtige Menstruationshygiene ausgestattet werden, sodass sie Tabus, Mythen und Missverständnisse rund um das Thema überwinden können. Zweitens soll ein förderliches Umfeld aufgebaut, sodass sich die Mädchen während ihres Menstruationszyklus in der Schule unterstützt und wohl fühlen. Und drittens soll sichergestellt werden, dass die Schulen in der Lage sind, Menstruationshygiene und Waschräume wirksam zu verwalten und aufrechtzuerhalten. Umgesetzt wird es an vier Schulen der Sekundarstufe im Distrikt Biharamulo.

Wie sind die Reaktionen auf dieses Projekt - von Kolleg:innen, von der Bevölkerung im Allgemeinen, von Teilnehmer:innen, von Schulen?

Das Projekt wurde insgesamt gut aufgenommen und es gab positive Rückmeldungen von vielen Seiten. Der Bezirksrat hat seine wichtige Rolle erkannt und ist dankbar für das Projekt. Die Eltern sehen darin eine Möglichkeit, Schwangerschaften im Jugendalter zu reduzieren. Das Lehrpersonal ist überzeugt, dass das Projekt zu einer lernförderlichen Umgebung für die Schülerinnen beigetragen hat. Die Schüler:innen schätzen die Hilfe, um Menstruationsstigmata zu überwinden. Die Gemeindemitglieder fordern nun sogar noch mehr Bewusstseinsbildung zu dem Thema.

Welcher Teil des Projekts gefällt Ihnen am besten und welcher Aspekt des Projekts liegt Ihnen besonders am Herzen?

Neben den bereits erwähnten Schulungen zur Herstellung nachhaltiger Stoffbinden ist mir der Teil der Bewusstseinsbildung zu Menstruation besonders wichtig, weil endlich über dieses Tabuthema geredet und aufgeklärt wird. Die meisten Probleme im Zusammenhang mit der Monatshygiene sind auf das Schweigen und die Tabuisierung von Menstruation zurückzuführen Die Mädchen und Frauen leiden daher schweigend – durch die Schmerzen an sich, die Tabuisierung und auch das, was wir bei uns als „Menstruationsarmut“ bezeichnen: Dass nicht genug Geld für Hygieneprodukte da ist. Das Schweigen zu brechen ist eine der wichtigsten Komponenten bei der Beseitigung des Menstruationstabus.

Was ist Ihre Vision für die Schulen im Distrikt Biharamulo in der Zukunft?

Meine Vision ist es, dass die Schulen im Distrikt Biharamulo über ein förderliches Umfeld und eine gute Infrastruktur für menstruierende Mädchen verfügen, wie z.B. ausreichende und saubere Toiletten, sauberes und sicheres Wasser, Umkleideräume mit Seife und Wasser, Schmerzmittel, Notfallbinden, geschlechtssensible Lehrer:innen und eine Schulgemeinschaft, die frei von Menstruationsstigmatisierung ist, sodass die Schülerinnen ihre Schullaufbahn gleichberechtigt absolvieren können.

Danke für das Interview.